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„Spur der Steine“ wäre ein guter Titel, aber den gibt es schon

steine„Kann das weg oder ist das antik?“ – Eine Frage, die man immer wieder hört, wenn man ein altes Haus renoviert.

In diesem Fall wurde ich gar nicht erst gefragt. Die hundert Jahre alten Fensterbretter landeten gleich auf dem Müll. Und das nur, weil das eine oder andere Brett ein bisschen verschimmelt war. Oder zerbrochen. Oder völlig von Holzwürmern durchlöchert, die dort seit Generationen ihre Eigentumswohnung vom Vater auf den Sohn oder – sofern bei Holzwürmern das Matriarchat herrschen sollte – von der Mutter auf die Tochter vererbten. Um es kurz zu machen: Ich kam einfach nicht drum herum: Es mussten neue Fensterbretter her. Die alten waren einfach nur eklig.

Heutzutage werden Fensterbretter eher selten aus Holz geschnitzt. Vermutlich wegen der Schimmelpilze und so. Meine vage Idee, stattdessen mit Kunststoff beschichtete Spanplatten zu nehmen, brachte mir von einem meiner selbsternannten Bauleiter einen bitterbösen Blick ein. Er ließ nur Naturstein gelten, mit dem Hinweis, dass das gar nicht mal so teuer sei. Von dieser Aussage ermutigt, stürmte ich in einen Fachmarkt für Gestein und Fliesen und ließ mich dort beraten.

Ahnungslos zeigte ich in der weitläufigen Ausstellung auf eine der raffiniert präsentierten Gesteinsproben. Dem Verkäufer wich augenblicklich das Blut aus den Wangen. Er zuckte kurz, eilte zu seinem Computer, tippte nervös in den Verzeichnissen herum und sagte: „Bedaure. Der ist gerade nicht lieferbar. Der kommt aus einem illegalen Steinbruch in China und anscheinend greift dort gerade die Obrigkeit durch.“

Ich sagte: „Aha!“ und tippte auf einen anderen Stein. Wieder ein leichtes Zucken und das nervöse Tippen und Klicken am Computer und dann: „Tut mir leid. Der ist auch gerade nicht lieferbar. Der kommt aus Indien und vermutlich streiken die wieder für bessere Arbeitsbedingungen.“

„Indien? Dort hacken kleine Kinder die Steine aus dem Felsen, oder?“, fragte ich den Fachverkäufer mit meiner naiven Weltkenntnis, die ich mir in den vergangenen Jahren aus diversen arte-Dokumentationen zusammengestoppelt hatte.

„Genau!“, antwortete er und ergänzte, dass, wenn es danach ginge, man ja im Grunde gar nichts mehr kaufen könne. Ob sich nun die Angestellten irgendwelcher Computerfirmen überarbeitet aus dem Fenster stürzten oder in Indien die Kinder Steine brechen würden. Im Grunde würde doch in der globalisierten Welt überall das gleiche Spiel gespielt.

Ich sagte: „Ja. Wenn man das so sieht, stimmt das leider“, und fragte nach dem Stein, der keine 10 Kilometer entfernt, irgendwann vor ca. 298 Millionen Jahren, in Form von außergewöhnlich hartem Porphyr aus dem Boden gewachsen war und der hier seit Generationen verbaut wurde. Ein Stein, der für die Wartburg und den Magdeburger Dom gut genug war, der müsste doch genau das Richtige für meine Fensterbretter sein. Ich erfuhr, dass dieser Stein seinen Status als wertvoller Naturstein aus betriebswirtschaftlichen Gründen verloren hätte und jetzt ausnahmslos als Splitt im Straßenbau landen würde. Es rechnet sich nicht mehr, seit es billiger ist, die Steine aus Indien und China zu holen und Splitt bringt mehr Profit.

Ich sagte: „Ach so“, und: „Ach schade“ und tippte wieder auf einen Stein. Irgendein Kalkstein aus dem Zeitalter des Jura, in dem manchmal sogar Ammoniten drin sind.

Keine Ahnung aus welcher Gegend der jetzt kommt. Schließlich war auch im Mesozoikum Globalisierung angesagt. Deshalb gibt es überall auf unserem Planeten Jurakalke. Mit Glück vielleicht sogar in einer Region, in der legale Steinbrüche betrieben werden, in denen ausgebildete und gutbezahlte Steinmetze arbeiten und keine kleinen Kinder.